Freitag, 11. März 2016

Suns First Rays


Zum diesmonatigen Karneval will ich darüber schreiben, welches Spiel ich warum nehme, wenn sich plötzlich ein Rollenspielabend ergibt, den ich leiten soll  Es gibt drei Spiele, die hierfür in Frage kommen.

1) Wenn ich noch genug Zeit habe und/ oder es darum geht Neulinge (langsam) ins Rollenspiel einzuführen, dann nehme ich das Warhammer Fantasy Rollenspiel (2E). Damit kenne ich mich am besten aus. Dafür habe ich die besten Spiel-Hilfsmittel. Und ein Zweitregelbuch, das ich an die Gruppe weitergeben kann, wenn es bei der Charaktergenerierung und während des Spiels gebraucht wird. Hier hilft auch, dass WFRP2 eine hervorragende deutsche Übersetzung erhalten hat. Das macht am Spieltisch einiges einfacher.
Ein passendes Abenteuer zu schreiben oder zu finden ist da aber immer wieder ein Problem. Wie lang soll es sein? Was soll das Thema sein? 

Die Crux an WFRP ist mMn einfach, dass das Setting so einiges zu bieten hat. Einerseits ist es sehr zugänglich, andererseits hat es doch etliche Eigenheiten, die es von "gewöhnlichen" Fantasyhintergründen mit Elfen, Zwergen, Orks absetzt. Genau betrachtet sind viele der Äußerlichkeiten von Warhammer (grüne Orks mit fetten Hauern, Wikinger/Techniker bei den Zwergen, ...) v.a. über WarCraft (von dem immer wieder vermutet wird, es sei ein WH-Spiel mit verlorengeganener Lizenz gewesen) in den Fantasy-Mainstream übernommen worden. Dabei ist das, was Orks, Zwerge, Elfen, ... in Warhammer ausmacht, verloren gegangen.

Auf die Eigenheiten und historischen Referenzen, das besondere Flair der Alten Welt, seinen schwarzen Humor, ... kommt es aber an. Zumindest, wenn man - wie ich - den Anspruch hat, WFRP nicht zu generischer Fantasy verkommen zu lassen. Da muss dann abgewägt werden: Wie viele WFRP-Spezifika sind zu vermitteln? Wie sehr kann man mit EDO-Annahmen starten ohne das Potential des Settings zu verschenken oder zu verderben? Härte? Schwarzer Humor?
Schließlich geht es um die Alte Welt und nicht um Golarion, Kreijor, die Vergessenen Reiche oder Aventurien.

Am Ende braucht es eine gute Planung, um einen leichten Einstieg in WFRP2 zu ermöglichen. Das geht nicht ohne ein bis zwei Tage Vorlauf.


2) Wenn ich ein bißchen Zeit habe und weiß, dass EDO gewünscht ist, dann nehme ich gern Lamentations of the Flame Princess. Da ich das noch nicht sooo oft gespielt habe - und zwischendrin immer wieder andere OSR-Spiele (wie Crypts & Things) - muss ich da nochmal kurz die Regeln überfliegen. Fertigabenteuer oder eine eigene Abenteuerskizze habe ich dann in ca. 2 Stunden leitbereit. Zu Beginn einer Runde ist es ein Leichtes von klassischen Fantasy-Tropen auszugehen und dann deren Verdrehungen deutlich zu machen. Dafür reichen die Klassenbeschreibungen.


3) Wenn ich übernächtigt und/oder keine Zeit zum Vorbereiten habe - also eine Stunde bis der ganze Kram gepackt sein muss, der Spielraum und das Abenteuer vorbereitet - dann nehme ich das Prince Valiant Storytelling Game. Was anderes geht nicht. Entweder das oder nix. Das "Warum" will ich im Folgenden erklären:

Zunächst wäre da das Setting. Die Artus-Sage ist gemeinhin bekannt und auch Hal Fosters Interpretation davon kennen die meisten Leute wenigstens am Rande. Hier hilft ungemein, dass Fosters Interpretation sowohl einen realistischen (Zeichnungen, glaubhafte Welt- und Sozialbezüge, quasi keine Magie), einen romantischen (die verkärte Sicht des Hochmittelalters, höfische Ideale, wunderbare und "zauberische" Ereignisse) als auch einen modernen Zugang (z.T. moderne Verhaltensweisen der Charaktere, logisches nicht-mythisches Denken, Pulp-Action) eröffnet. Über die Drei in Kombination fällt das Einfühlen in die Welt leicht, die andererseits immer auch Kulisse für die Handlungen der Protagonisten bleibt. Außerdem vermittelt das Setting bei den Spielenden das Gefühl, einen Überblick über die Spielwelt zu haben und handlungsfähig zu sein.


Das System wiederum ist recht einfach gestrickt. Außerdem lässt es sich duch eine Aufteilung in Basic und Advanced Game gerade für Anfänger gut skalieren. (Wobei das Spiel trotzdem immer "rules light" bleibt.) Regelseitig besteht ein Charakter aus 2 Attributen (Brawn und Presence) plus einer handvoll Fertigkeiten. Aus den Zahlenwerten dieser Merkmale wird für Proben ein W2-Pool gebildet, bei dem jeder Würfel einen Erfolg oder Nichterfolg anzeigt. Ausrüstung oder besondere Situationen können zusätzliche Würfel bringen (oder auch abziehen).

Bei Konflikten (Kampf, Rededuell, Armdrücken) werden dann keine Lebenspunkte oder ähnliches abgezogen, sondern Würfel aus dem Pool genommen. Zuerst die von Modifikatoren, dann die der Fertigkeiten und schließlich diejenigen, weche die Atrribute generieren. Bei einem Würfelpool von Null ist eine Figur außer Gefecht. Was das genau bedeutet, wird über logische Deduktion und Freiformspiel bestimmt. So elegant die Regeln an der Stelle auch sind, so abstrakt sind die andererseits. (Es wirkt schon ein bißchen komisch, wenn bei einem diplomatischen Schlagabtausch, das Sigel von Artus plötzlich nix mehr zählt oder wenn im Kampf die Waffe keinen Einfluss mehr hat.)

Im Advanced Game kommen dann so Sachen ins Spiel wie "Szenen-Leitung" für Spieler. Spezialeffekte (wie "der Schurke entkommt"), welche die Spielleitung zu dem Preis kaufen kann, dass die Spieler ebenfalls einen Spezialeffekt zugestanden bekommen. Nachteile, die beim Ausspielen XP generieren und zusätzliche Fertigkeiten. Insgesamt sorgen die erweiterten Regeln für eine Verteilung der Verantwortung fürs gemeinsame Spiel - weg von der SL hin zu den Spielern.


Die Abenteuerskizzen/ -episoden sind außerdem klug gemachte One- oder Two-Pages. Es wird eine
Abenteuerart ("assistance", "rescue", "attack") beschrieben, ein kurzer Einstieg präsentiert, auf Vernüpfungsmöglichkeiten mit anderen Episoden hingewiesen, eine knappe Hintergrundbeschreibung geliefert, Ziele und generelle geplante Handlungen aufgelistet, die SC-Persönlichkeiten in zwei Sätzen beschrieben und sinnvolle Spezialeffekte angeboten. Im zweiten Teil wird ein möglicher szenischer Ablauf beschrieben, der sehr viele Freiheiten lässt und lediglich den angedachten roten Faden darstellt. Den Abschluss bilden NSC-Werte.

Eine Episode kann für einen ganzen Spielabend reichen. Sie hat genug Fleisch, um sofort losspielen zu können. Man kann die Idee aber auch mit Kontexten versehen, sie zu einem Kampagnenauftakt ausbauen, etc.
Wenn es für eine Con oder einen spontanen Spielabend ganz schnell gehen muss, dann lese ich mir eine der Episoden durch ( - bestenfalls habe ich eine Kopie davon dabei) mache mir ein paar Notizen und nach ca. einer halben Stunde kann es losgehen. Die ausgedrucke Episode ist - neben Würfeln und einer halbseitigen Regelübersicht - alles, was ich zum leiten brauche.


Die besonderen Errungenschaften des Spiel sind mMn, dass es sich zwar an Einsteiger richtet, für alte Hasen aber genug interessante Mittel und Methoden bereit hält, die es lohnenswert machen, das Spiel zu spielen. Außerdem ist der Wechsel vom Spieler zur SL ganz schnell vollzogen. PV können wirklich auch Neulinge leiten. (Jedenfalls war das die Rückmeldung die ich von zwei Spielerinnen bekommen habe: "Ach, das könnte ich mir gut vorstellen mal zu leiten.") Dafür braucht es dann nur noch ein Exemplar des Regelbuchs, das heute leider kaum mehr zu bekommen ist. (Chaosium überlegt, ob Sie das System neu rausbringen. Ich bin gespannt.)


Der historische Wert von PV (VÖ: 1989) liegt darin begründet, dass es auf vielfältige Weise Vampire: the Masquerade und die Storytelling-Bewegung inspiriert hat. Angefangen vom Poolsystem, das Erfolge zählt bis hin zum Fokus auf das gemeinsame Geschichtenerzählen. (Tatsächlich empfinde ich die oWoD in Bezug auf den Erzählfokus als Rückschritt gegenüber PV. Aber der Erfolg gibt wohl den weißen Wölfen recht.) Andere Spielmechanismen - zu denen die Traits ("arrogant", "loyal") zählen - wurden bei Savage Worlds (Hindrances) noch als innovativ gefeiert, sind aber ebenfalls viel älter.
Kurz: Das Spiel auch heute noch anderen Rollenspielen - gerade den großen Mainstream-System - innovative Ideen voraus. Wobei man auch sagen muss, dass manche Erklärung (zum Beispiel zur Rolle der Spielleitung) Staub angesetzt hat. Mit dem Charakterbogen, war ich auch nicht zufrieden. Deswegen habe ich einen Neuen [1] gebastelt.


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[1] Alle Rechte verbleiben bei Chaosium und King Features Syndicate.

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