Samstag, 14. Mai 2011

Unter den Schwingen des Mantikores: Kai-Mönche erwarten das Abenteuer


Abenteuerspielbücher.
Für so manchen von uns waren diese Romane, bei dem man den Fortgang der Handlung selbst bestimmen durfte, der Türöffner zum Rollenspiel-Hobby.
Unter diesen Büchern nimmt die Reihe "Einsamer Wolf" eine be-
sondere Stellung ein. Ich vermute, dass das vor allem an drei Dingen liegt:
1. Den spannenden Geschichten, die Joe Dever zu gestalten weiß.
2. Den einfachen und hochfunktional-
en Spielregeln.
3. Der Welt Magnamund, die einerseits klassisch und vertraut, doch andererseits durch die Abwe-
senheit von "Standardfantasy-Rassen" wie Elfen, Halblingen, Orks erfrischend anders wirkt.

Wenn man sich Devers Inspirationsquellen - Beowulf, Artus, Ivanhoe & Geschichten aus der Feder von Tolkien, Moorcock und Peake - bewusst wird, dann weiß man auch, warum das so ist.
Für außerdem erwähnenswert halte ich, dass Magnamund ursprünglich als Kampagnenwelt fürs Rollenspiel konzipiert und von Joe Dever als solche auch benutzt wurde.

Und hier schließt sich der Kreis: Einsamer Wolf wird mit dem Multiplayer Game Book, das 2010 bei Mongoose erschien, wieder Rollenspiel. Dabei bleibt es, indem es dieselben Regeln verwendet, mit dem Spielbuch voll kompatibel.

Seit der RPC 2011 gibt es das Multiplayer Game Book auch auf deutsch. Grund genug das Spiel ein wenig unter die Lupe zu nehmen.


Äußerlichkeiten

Jüngst erschien im Mantikore Verlag das Einsamer Wolf Mehrspielerbuch. Es kommt als Broschur mit den Maßen 13,5 cm x 20,5 cm daher und hat damit dasselbe Format wie die Spielebücher. Das ist zwar schön fürs Regal, aber weniger handlich als die leicht größere Originalausgabe. Zumal die deutsche Ausgabe 52 Seiten mehr braucht als die englische - nämlich 164.

Schuld an diesen zusätzlichen Seiten haben neben der deutschen Sprache vor allem zusätzliche Inhalte, die da wären: Die aus den Mantikore-Spielbüchern bekannte doppelseitige Farbkarte der Hinterlande, Autorenvorstellung und Vorwort, ein paar zusätzliche Illustrationen, der zweiseitige Anhang und 5 Seiten Werbung für Rollenspiele und Spielebücher. Für mich: Ein Gewinn für die deutsche Ausgabe!

Zur Optik des EW MSB ist zu sagen: Das Cover von Alberto dal Lago sieht gut aus und ist in der deutsche Version besser in Szene gesetzt als in der englischen. Die Bilder im Inneren sind stimmige, ausdrucksstarke schwarz-weiß Zeichnungen von Rich Longmore, der auch schon die Spielbucher illustrierte. Mir jedenfalls gefallen die Bilder, obwohl sie nicht an den Charme der alten Gary-Chalk-Illus herankommen.

Das Layout des Mehrspielerbuchs ist sauber, eher spartanisch und übersichtlich. Positiv aufgefallen ist mir, dass wichtige Stellen, gegenüber der englischen Ausgabe FETT markiert sind. Das erleichtert das Nachschlagen doch sehr.
Sprachliche Fehler innerhalb der meist eleganten und liebevollen Übersetzung sind wirklich selten. Lediglich das Nichtbeachten der Regel "Nachdem + Plusquamperfekt" ist mir da aufgefallen. Rechtschreibfehler vielleicht einer.


Innere Werte

So. Genug der Äußerlichkeiten. Wenden wir uns dem Spiel selbst zu.

KAPITEL 1
Die Einleitung richtet sich vor allem an Neulinge und Spielebuch-Spieler. Sie ist zweckmäßig und führt behutsam ans Rollenspiel heran. Der Spielablauf wird durch ein anschauliches Spielbeispiel erklärt. Dieses ist zwar nicht so großartig wie das in Lamentations of the Flame Princess oder Prince Valiant aber trotzdem gut. Besser als manch anderes, das ich anderswo gelesen habe. Im Anschluß werden grundlegende Spielmechanismen erklärt. So gilt eine Probe als gelungen, wenn Zufallszahl (0-9) mit Boni größer oder gleich der Schwierigkeit ausfällt. Für die Ermittlung braucht das Spiel nichtmal einen zehnseitigen Würfel - wenngleich ein solcher naturlich verwendet werden kann.

KAPITEL 2
Im Einsamer Wolf Mehrspielerbuch können nur Kai-Lords erschaffen werden. Andere "Klassen" werden in Helden von Magnamund folgen. Für die Prämisse des Spiels finde ich das völlig ausreichend. Als Spielerfiguren sind die Kai-Mönche ohnehin mit die interessanteste und vielseitigste "Klasse".

Bei der Charaktererschaffung werden dann per Zufallszahlen Kampfstärke und Ausdauerpunkte bestimmt. Bei beiden Werten gibt es einen Werte-Sockel auf den die Zufallszahlen addiert werden. Dann kommt die Auswahl von 5 Kai-Disziplinen. Diese sind im Vergleich zum Spielebuch teilweise für's gemeinsame Spielen modifiziert worden.

Waffen & Ausrüstung funktionieren wie im Spielbuch. Manche verbessern die Ausdauer und manche die Kampfstärke (jeweils nur in Kampfsituationen). An und für sich spielt die Ausrüstung im Mehrspielerbuch nicht soo die große Rolle, wie man es vielleicht aus anderen Rollenspielen kennt. Es folgt eine Zufallstabelle, mit der man typische Kai-Lord Namen auszuwürfeln KANN.
Mit den Zufallszahlen 8 und 3 erhalten wir zum Beispiel den Namen "Runenherz".

Insgesamt bietet das Spiel bei der Erschaffung eine angenehme Mischung aus Zufälligkeit und Wunschkonzert.

KAPITEL 3
Im Folgenden geht es dann um die Kampfregeln. Eine kämpferische Auseinandersetzung funktioniert so: Der Spielercharakter zieht von seiner modifizierten Kampfstärkte die des Gegners ab. Das Ergebnis ist der Kampfquotient. Dann ermittelt er eine Zufallszahl. Mit diesen beiden Zahlenwerten schaut er auf der Kampfresultat-Tabelle nach und weiß dann wieviel Ausdauerpunkte er selbst und wieviele sein Gegner verloren hat. Bei 0 Ausdauer ist ein Charakter tot.

Wann eine Spielfigur handeln darf wird über die Kampfstärke ermittelt. Interessant ist, dass nicht jede Figur zum Zug kommt, da sobald ein Schlagabtausch stattfindet, das immer als Kampfhandlung aller Beteiligten angesehen wird. (Jedenfalls hab ich das so verstanden.)
Für den Kampf gibt es dann noch zusätzliche Regelungen für Umzingeln, Bedrängtsein, Fernkampf und waffenlosen Kampf. Am Beispiel des waffenlosen Kampfes - der blöderweise VERGESSEN wurde aufzuführen - sei erklärt, wie man sich die Funktionsweise der verschiedenen Kampfoptionen vorstellen darf:

Falls du jemals gezwungen bist ohne Waffe in der Hand an einem Kampf teilzunehmen, so erleidest du einen Abzug von 4 auf deine Kampfstärke. Wenn du eine improvisierte Waffe, wie zum Beispiel ein Tischbein, einen Stuhl oder einen Ast findest, dann reduziert sich dein Abzug auf die Kampfstärke auf -2.


KAPITEL 4
Behandelt kurz und schmerzlos den Aufstieg. Die Didaktik hinter "gelungenes Abenteuer = Aufstieg" und "misslungenes Abenteuer = kein Aufstieg" finde ich etwas fragwürdig. Vielleicht kann man das eleganter hausregeln.

KAPITEL 5
Hier gehts um Handlungen im Abenteuerhandlungen und - gegebenheiten wie Klettern & Stürze, Gifte & Krankheiten, Licht, Gegenstände zertrümmern, Reisen und Handeln.
Es fällt auf, dass die Standart-Schwierigkeiten variieren. Das muss das System auch so machen, weil machmal zusätzlich zu Zufallszahlen und Boni noch Kampfstärke oder Ausdauer addiert werden. Hmmm ... ein einheitliches Würfelsystem sieht anders aus. Ein Beinbruch aber auch.

Bei der aufgeführten Ausrüstung fallen zwei Sachen auf:
1. Die Sachen wurden in der Originalsortierung belassen und nicht wie im Original alphabetisch sortiert.
2. Die Preise stimmen nicht mit der englischen Ausgabe überein. So kostet beispielsweise ein Trank Laumspur in der deutschen Version 150, in der englischen aber nur 5 Goldkronen. Ein Pferd wiederum ist in der Mantikore-Ausgabe für 30 Gold zu haben. Im Original muss man dafür schon 150 Goldkronen berappen. Bei den Waffen stimmen die meisten Preise nicht mit der englischen Ausgabe überein.
Sehr ÄRGERLICH dieses Preise-Wirrwar. (Das zieht sich übrigens nicht nur durch die deutsche Augabe. Im englischen Heroes of Magnamund kostet ein Kettenhemd 85 GK und damit fast doppelt soviel wie im Multiplayer Game Book.)
Hierzu möchte ich noch sagen, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob die deutsche Preisliste nicht auf einer nachträglichen Änderung durch den Original-Verlag (Mongoose) zustande kommt,

KAPITEL 6
Taktik und Strategie. Hierin wird erklärt, welche Disziplinen für welche Proben Boni abwerfen. Dazu gibt es weitere Hinweise wie welche Regelelemente zusammenwirken. Ein notweniges aber sehr gutes Kapitel, das alle Fragen, die sich so im Lauf des Lesens angesammelt haben klärt und mehr.

KAPITEL 7
Das Spielleiterkapitel enthält keine großen Überraschungen und ist eine voll funktionstüchtige Anleitung, die keinen Neuling überfordert. Sie ist inspirativ und wunderbar auf das Spiel ausgerichtet. Toll! Selbst für alte Hasen brauchbar.
Nur den Tipp, dass Proben durch cleveres Ausspielen umgangen werden können - den weiß ich nicht so recht einzuordnen. Für das Spiel an und für sich OK. Die Methode hat jedoch auch ein paar ganz üble Fallstricke, auf die aber nicht eigegangen wird.
Eine Ausführliche Diskussion um diese Gefahren würde ich für das Spiel allerdings auch wieder nicht wollen. Schwierig.

KAPITEL 8
Die Monsterbeschreibungen sind knapp und doch anschaulich. Wofür brauchen andere Rollenspiele nochmal ganze Seiten für eine Kreatur? Beim Szall haben sich auch noch ein paar Sätze Beschreibungstext davongestohlen. Das ist doof, weil es diese GROßARTIGE Kapitel doch ein wenig abwertet.

KAPITEL 9
Die Geschichte Magnamunds. Für mich der schwächste Teil des Buchs. Der Leser wird mit allerlei Schöpfungsmythen, Götterkämpfen und Ähnlichem verwirrt. Erst gegen Ende hin wird auf das fürs Spielen Relevante eingegangen und diese Passagen sind dann auch wieder voll gut und inspirativ.

KAPITEL 10
Kommen wir also zum unmittelbaren Spielsetting. Die Hinterlande.
Ums kurz zu machen: Die vier Eintrage "Sommerlund", "Durenor", "Die Ödlande" und "Die Finsteren Länder" finde ich unterschiedlich gut beschrieben. Stellenweise tritt das Problem aus Kapitel 9 wieder auf. Die "Finsteren Länder" finde ich dabei übrigens am besten gelungen. Schade, dass die Schwarz-Weiß-Karte des (nördlichen?) Magnamund es nicht in die deutsche Version geschafft hat.

KAPITEL 11
Danach geht's direkt ins Abenteuer "Der Aufrag des Händlers".
Darauf einzugehen spare ich mir jetzt. Vielleicht ein andermal.
Nur soviel: Ganz nett gemacht. Nix Weltbewegendes.

ANHÄNGE
Zum Abschluß gibts eine Beschreibung der Folgepublikationen. Hat mich gefreut.
Ist sinnvoll.


Fazit
Alles in allem ist das Einsamer Wolf Mehrspielerbuch ein sehr schönes Rollenspiel geworden. Besonders die Übersetzung weiß zu gefallen. Die Regeln sind für das Setting und durch seine besondere Nähe zum Spielebuch sehr passend. Die Einschränkungen in ihrer Einheitlichkeit sehe ich nicht als Problem an. Auch das Setting - Magnamund - ist eine Empfehlung wert.
Leider hat die deutsche Version ein paar Fehler, die es nicht erlauben das Spiel uneingeschränkt zu empfehlen. Dennoch halte ich sie für unterstützenswert.

Das EW MSB ist ein schönes, regelleichtes Rollenspiel.
Es geht weder um ergebnisoffenes, taktisch forderndes Spiel, noch um Drama, Story oder gar Metaplot-Spiel. Einsamer Wolf kann nicht mehr und nicht weniger als ABENTEUER! Wer sich dafür begeistern lassen kann, dem sei das Spiel empfohlen.





PS.: So, da ist sie, meine erste echte Rezension.
Über Anmerkungen jeder Art würde ich mich freuen.

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